“Was Nitzberg anpackt, ist derart raffiniert gewendet, erfindungsreich variiert, originell verarbeitet und mit Witz und Detailsinn in unsere Zeit übersetzt, daß es auch als Repetitorium eine ganz zauberhafte Mischung ergibt.”
Peter Rühmkorf
Dichter und Denker
Der Dichter ist ein auf den Kopf gestellter Denker.
Der Denker denkt Gedanken. Der Dichter denkt Dinge.
Eine Rose, ein Spiegel, eine Sanduhr.
So nah und fühlbar.
Doch plötzlich losgelöst, dahin ...
Die Rose nur ein Name,
der Spiegel vager Widerschein,
die Sanduhr ein Verrieseln.
Doch warum werden wir von diesen
Unwirklichkeiten so befreit?
Sinn der Vernunft? Nein, nein: Vernunft der Sinne.
Das Ohr, der Blick, das Tastende der Hand,
die Welt zergeht uns auf der Zunge,
Duftwolken sind die Galaxien.
Der Dichter läßt die Sinne denken.
Die sinnen nach, besinnen sich, entsinnen sich
des flüchtigen Seins.
Der Dichter sagt: Apfel.
Und Ohren blühen auf, Augäpfel öffnen sich!
Und Haut wird Schale, Herz wird Kern,
nagendes Leid der Wurm im Fruchtfleisch.
Ja, was dem Denker ein Unding,
ist dem Dichter das Ding an sich.
Denn jedes Ding ist eine Symphonie
von Sinn, zugänglich allen sieben Sinnen.
Den Faden ziehn von Klang zu Farbe,
von Farbe zu Geruch und von Geruch zu Stoff,
zu Mustern fügen.
Das Hörbare beschaun,
den Puls erschmecken,
die Worte riechen:
Dem Denker purer Unsinn. Dem Dichter purer Sinn.
Der Dichter ist ein auf den Kopf gestellter Denker.
Und, auf den Kopf gestellt,
rührt er
mit seinen Fersen
an den Himmel selbst.
Der ist ein fester Grund.
Alexander Nitzberg
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